Zentralmadeira

Hotel Madeira Panoramico, Levada dos Piornais

Sonntag, 18.01.2015 - Levadawanderung mit Lina

Heute ist erst einmal Gammeln angesagt. Nachdem wir jetzt doch schon ein wenig von der Insel gesehen haben, stehen wir noch etwas später auf als ohnehin schon, frühstücken, nehmen dann, weil es inzwischen angenehm warm geworden ist, sogar noch einen letzten Kaffee auf der Außenterrasse des Speiseraums ein und machen es uns anschließend in den Liegestühlen am Hotelpool gemütlich. Nachdem unsere geschundenen Körper etwas regeneriert haben, begeben wir uns an die Poolbar und genehmigen uns noch zwei erfrischende Drinks. Dann überlegen wir mal, was man heute noch so machen könnte.

Buffet am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.
Buffet am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.
Freie Platzwahl. Der frühe Vogel fängt den Wurm.
Freie Platzwahl. Der frühe Vogel fängt den Wurm.

Weil der Tag schon recht weit fortgeschritten ist, meint Lina, wir könnten doch eigentlich einmal eine Levada ablaufen. Sie wüsste eine, die in der Nähe des Hotels vorbeiführt, da müssten wir auch keine großen Klimmzüge machen, um dorthin zu kommen. Weil die Levadas ein sehr prägendes Element Madeiras sind und man sich ohne Levadawanderung zu Hause ja schon fast nicht mehr blicken lassen kann, stimmen Angelika und Michael diesem Vorschlag zu. Damit der geneigte Leser, der sich mit dieser Insel vielleicht noch nicht so intensiv auseinandergesetzt hat, einen Eindruck bekommt, was es mit diesen Levadas auf sich hat, schiebt Michael einen kurzen Exkurs ein, um dies zu erläutern.

Terrasse vor dem Speisesaal im Hotel Madeira Panoramico.
Terrasse vor dem Speisesaal im Hotel Madeira Panoramico.
Poolterrasse Hotel Madeira Panoramico.
Poolterrasse Hotel Madeira Panoramico.
Die Levada dos Piornais im Stadtgebiet von Funchal unterhalb des Pico da Cruz (Quelle: openstreetmap, Lizenz CC-BY-SA 2.0).
Die Levada dos Piornais im Stadtgebiet von Funchal unterhalb des Pico da Cruz (Quelle: openstreetmap, Lizenz CC-BY-SA 2.0).

Michael hatte ja an dem Tag als wir mit dem Bus über die zentrale Gebirgskette fuhren bereits angedeutet, dass die Niederschläge zwischen der Süd- und der Nordseite der Insel sehr ungleich verteilt sind. Die in erdgeschichtlich sehr kurzen Zeiträumen auf einer bereits stark reliefierten Geländeoberfläche ausgeworfenen vulkanischen Produkte wie Lavadecken, Tuffe und Aschen sind lokal begrenzt und weisen sehr unterschiedliche Porenvolumen und damit Wasserleitvermögen auf, also verfügt die Insel zwar über eine ganze Reihe lokaler Grundwasservorkommen, ein ausgedehnter Grundwasserleiter, wie man ihn vom Festland kennt, fehlt jedoch. Gleichzeitig bieten die etwas flacher abfallenden und sonnenverwöhnten Südhänge bessere Anbaubedingungen und deshalb stellte man bereits im 15. Jahrhundert Überlegungen an, wie man diese lokalen Wasserspeicher anzapfen und das Wasser dorthin bringen könnte, wo es gebraucht wurde. Die Lösung dieses Problems lieferten dann die zunächst noch mit Holzbohlen, später mit künstlichen Baumaterialien erstellten, Hufeisen- oder u-förmig ausgestalteten Wasserläufe, die Levadas. Über die Jahrhunderte wurde eine Vielzahl solcher Levadas erbaut, die nun wie Wasserautobahnen weite Teile der Insel überziehen. Infolge ihrer geringen Baubreite und der trotz ständiger Pflege und Erneuerung durch üppiges Pflanzenwachstum und den Zahn der Zeit ausgebildeten Patina, fügen sich die Levadas harmonisch in die Landschaft ein.

 

Weil die Levadas überwiegend hangparallel und mit geringem Gefälle verlaufen, bilden sie häufig auch für älteres Publikum und selbst für Fußkranke eine ideale Möglichkeit ohne übertriebene Anstrengungen die reizvolle Landschaft genießen zu können. Das hat sich über die Jahre herumgesprochen und so sind ältere Wanderer, neudeutsch und werbewirksam auch als Best Ager, Silver Ager oder Third Ager bezeichnet, deutlich überrepräsentiert. Nach Michaels sicherlich unbedeutender Einzelmeinung ist das von der Werbung suggerierte beste Alter rein körperlich da längst überschritten, Lina natürlich ausgenommen, versteht sich. Das Beste an diesem Alter ist jetzt, dass sich der Geldbeutel dieser Leute jeden Monat mehr oder minder stark füllt, ohne dass sie dafür weiter arbeiten müssten, und genau auf diesen Umstand zielen die Werbetreibenden ja schließlich auch ab.

 

Davon abgesehen scheint die Vorstellung, ein Inselaufenthalt biete sich nur für Rentner an, sicherlich nicht gerechtfertigt. Zum einen konnten wir entlang der ausgedehnten Küste immer wieder junge Leute bei diversen sportlichen Aktivitäten beobachten, darüber hinaus soll es zumindest in Funchal auch so etwas wie Nachtleben geben, wenngleich wir von diesem nicht aus eigener Anschauung berichten können.

 

Auch bezüglich der Levadas sollte man sich nicht täuschen. Hier gibt es sehr unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, weil diese mitunter auch mal durch Tunnel führen oder Steilstufen eingeschaltet sind, die der Wanderer dann über entsprechende Anstiege überwinden muss.  Deshalb und weil ja auch nicht alle Wanderer mit dem Auto unterwegs sein können oder wollen und somit auf Busse oder Gruppenreisen angewiesen sind, bedarf es bei Levadawanderungen einer vorausschauenden Planung.

 

Das gilt aber nicht heute und es gilt nicht für uns, weil wir ja Lina haben, die wieder einmal (fast) alles im Griff hat. Also machen wir uns um die Mittagszeit stadtfein und nehmen Kurs auf die Levada dos Piornais.

 

Von unserer Unterkunft aus laufen wir ca. 200 m die Rua dos Estados da America hinunter, schlagen einen Haken nach rechts und schon haben wir die Levada dos Piornais erreicht, die hier oberhalb der küstennahen Hotelregion von Funchal sichelförmig um den Pico da Cruz nach Westen führt. Das Wasser fließt gemächlich innerhalb eines U-förmig gestalteten Troges, dessen etwa 40 cm breite südliche Einfassung den Wanderern als Laufweg und die etwas schmälere, nördliche Einfassung zusammen mit einer darüber einsetzenden Stützmauer der Hangabsicherung dient.

 

Nicht immer ist die Levada als offenes Gewässer ausgeführt, manchmal hat man die Fließstrecke auch mit Betonplatten abgedeckt. Ob das vor Verdunstung schützen soll oder welche Bewandtnis das hat, wissen wir nicht. Jedenfalls wird die Lauffläche des Wanderers hierdurch vergrößert und man muss seine Füße weniger sortieren. Levadawanderungen erfordern immer eine größere Aufmerksamkeit als ganz normale Wanderwege. Denn die Mauerstärken der Laufstege können sich ändern, aus einem Steg werden auch einmal zwei, Abdeckplatten können angebrochen sein oder fehlen, außerdem ist mit Gegenverkehr durch Wanderer zu rechnen und weil die hangabwärtige Seite oft keine Sicherungen, wie Mauern oder Geländer aufweist und das Gelände unterhalb der Levada mitunter deutlich tiefer liegt, kann ein Sturz recht schmerzhafte Folgen haben. Deshalb wird jenen, die das regelmäßig machen, auch empfohlen, immer eine Taschenlampe und eine Trillerpfeife mitzuführen, um ggf. auf sich aufmerksam machen zu können. 

Levada dos Piornais.
Levada dos Piornais.

Opuntien-Wäldchen an der Levada dos Piornais.
Opuntien-Wäldchen an der Levada dos Piornais.
Mauerwerks-Mosaik an der Levada dos Piornais.
Mauerwerks-Mosaik an der Levada dos Piornais.
Amerikanische Agave (Agave americana) an der Levada dos Piornais.
Amerikanische Agave (Agave americana) an der Levada dos Piornais.

Unser Weg verläuft heute fast eben, hier von Gefälle zu sprechen wäre vermessen. Das künstliche Gewässer ist anfangs noch zwischen bereits bebauten Grundstücken oberhalb der Mauer und unbebauten Grundstücken unterhalb der Levada eingezwängt. Die unbebauten Areale sind teils sich selbst überlassen und machen einen etwas ungepflegten Eindruck. Andere Grundstücke sind teils landwirtschaftlich genutzt, aber auch nicht gerade eine Augenweide, das bessert sich aber mit fortlaufender Strecke etwas.

 

Die Stützmauern sind in der Regel aus Natursteinen gefertigt, ältere Abschnitte verputzt, wobei der Putz oft bröckelt, sodass der Naturstein längst wieder zutage tritt. Stellenweise wird das Mauerwerk auch komplett vom üppig sprießenden Grün überwuchert. Bei Abschnitten mit neuerem Mauerwerk ist man offensichtlich bemüht, der rein stützenden Funktion des Bauwerks eine künstlerische hinzuzufügen. So hat man die Fugenbereiche zwischen den groben Bruchsteinen mit kleinteiligen, teils andersfarbigen Bruchsteinen mosaikähnlich ausgekleidet und auf diese Weise eine ansprechende, für den Spaziergänger recht abwechslungsreiche Note hinzugefügt. Diese sicherlich recht aufwändige Gestaltung sorgt dafür, dass sich das Auge des Wanderers jahrzehntelang hieran erfreuen kann, sehr löblich.

 

An einem wolkenarmen Tag wie heute heizt die Sonne die Kombination aus Levadatrog und angrenzender Stützmauer an dem nach Süden ausgerichteten Hang ordentlich auf. Unsere Wanderstrecke ist deshalb wärmer als die 19 Grad, die uns der Wetterbericht verhieß und so werden bald die Ärmel hochgekrempelt. Immer wieder treffen wir auf kleine Eidechsen, die geschickt zwischen den großen Fugen der Bruchsteine jonglieren und auf dem warmen Gestein die für ihr Wohlbefinden notwendige Wärme tanken.

 

Irgendwo im Niemandsland läuft die Stützmauer aus und der Hang öffnet sich nach oben in Richtung eines schön anzuschauenden, kleinen Kakteenwaldes. Vereinzelte Privatanwesen unterhalb der Levada gewähren sicherlich nicht ganz freiwillig, aufgrund der Hanglage aber unvermeidlich Einblicke in ihre hübsch angelegten Gärten. Mit der fruchtbaren vulkanischen Erde, dem perfekten Klima und dem Levadawasser gedeiht hier fast alles. Dann streift die Levada mehrere kleine Bananenplantagen, deren Stauden bis an unseren Laufweg heranreichen. Wieder etwas später treffen wir auf Kakteensolitäre, hochgewachsene Exemplare der amerikanischen Agave und kleinere Ansammlungen der Aloe africana mit herrlich rotorange leuchtenden Blüten. Dazu die gute Fernsicht auf die Ausläufer Funchals und das Meer, einfach herrlich. 


Die Levada dos Piornais.

Aloe africana südlich der Levada dos Piornais.
Aloe africana südlich der Levada dos Piornais.
Aloe africana südlich der Levada dos Piornais.
Aloe africana südlich der Levada dos Piornais.
Mauerwerks-Mosaik an der Levada dos Piornais.
Mauerwerks-Mosaik an der Levada dos Piornais.

Die Levada taucht schließlich unter die Avenida do Amparo ab und auf der gegenüberliegenden Seite etwas versetzt wieder auf. Die Bebauung geht westlich der Avenida do Amparo deutlich zurück, das Gelände nimmt ursprünglichere Formen an. Kurze Zeit geht es durch buschhohe, üppig sprießende Vegetation. Braun und weiß gebänderte Aschelagen treten zutage und lassen den vulkanischen Ursprung dieses Eilandes erkennen. Wo die Vegetation den Blick ins Tal freigibt, sieht man nun landwirtschaftlich intensiv genutzte, terrassierte Parzellen. Schließlich verschwindet die Levada für einige Zeit im Untergrund und wir bewegen uns entlang eines scheinbar ganz normalen Wanderweges. Dann taucht sie wieder auf und begleitet uns durch ein kleines Schilfwäldchen dessen Schattenwurf wir angesichts der mittäglichen Wärme und der Länge unserer Wanderung als sehr angenehm empfinden. Auf Höhe der Travessa do Papagaio Verde stellt sich schließlich das Gefühl ein alles irgendwie schon einmal gesehen zu haben und wir beschließen den Rückweg anzutreten.

 

Im Netz hatte Michael Berichte gelesen, wonach es auf der Levada dos Piornais gelegentlich zu Überfällen gekommen sein soll. Die Ganoven vermutete man in einer Sozialsiedlung in der Oberstadt. Ganoven haben wir heute zum Glück keine getroffen, das wäre vermutlich auch weniger lustig gewesen als Michaels schnöder Ton vermuten lässt. Vielleicht war das aber auch am Sonntag nicht zu erwarten, die waren bestimmt am Samstag beichten und sind heute in der Messe, um ihr Gewissen zu reinigen, damit sie in der kommenden Woche wieder unbelastet aktiv werden können.

 

Zurück an der Avenida do Amparo geht es hinauf in die Oberstadt, wo wir hoffen ein kleines Café oder Restaurant zu finden. Aber am Sonntag ist das schwierig und vielleicht haben wir auch den falschen Weg eingeschlagen, jedenfalls finden wir nichts Ansprechendes und erreichen unser Hotel per Pedes und recht durstig am späten Nachmittag. Dass danach nur noch die Füße hochgelegt werden, ist ja wohl klar.